Die Familien in Gartz und Treptow a.d.R.

von August Horneffer

Gartz und Treptow, die beiden Orte, die für meine Herkunft und Jugend Bedeutung haben, tragen slawische Namen. Wie die Städtenamen sind auch die Familiennamen in diesem Raum zum großen Teil slawisch. Die Namen meines Geschlechts sind durchweg deutsch; aber die Kopfform mit den starken Backenknochen zeigt den östlichen Einfluss.

Von feindlichen Gefühlen gegen das slawische Wesen war in meiner pommerschen Heimat nicht im entferntesten die Rede. Der slawische Bestandteil wurde als die tragende Grundlage, als die mütterliche Erde empfunden, auf der das strebende, unruhige germanische Wesen empor wuchs.

In dem Städtchen Gartz an der Oder, das aus Schildbürgerei die Eisenbahn ablehnte, ging eines Tages, es mag im Jahre 1830 gewesen sein, meine spätere Großmutter Henriette Sell mit einer Freundin durch die kleine Straße, die vom Marktplatz nach dem Bollwerk hinunter führt. Sie war ein zierliches, lachlustiges Persönchen. Neugierig schaute sie durch das offene Fenster eines niedrigen Häuschens hinein. Es sah so frisch da drinnen aus, als ob der Bewohner erst zu wirtschaften anfangen wollte. „Wer da wohl einziehen mag?“ fragte sie. Nicht lange, so zog sie selber dort ein, als Gattin des Schmiedemeisters Jahnke, der der jüngste Sohn eines angesehenen, aber zurückgekommenen Brauereibesitzers war. Hier sieht man, dass das Handwerk nicht ausschließlich die Vergangenheit meiner Familie beherrscht. Ein Brauer dünkte sich mehr als ein Handwerker; die älteren Brüder studierten denn auch oder ergriffen einen anderen, feineren Beruf. Aber für den Jüngsten fehlte das Geld, er wurde Hufschmied.

Dieser Schmied Gustav Ferdinand Jahnke hatte mit seiner Frau Henriette drei Töchter: Die älteste heiratete den Tierarzt Köster in Penkuhn und wurde Mutter vieler Söhne; die zweite wurde mit dem Uhrmacher Stahl in Schwerin a.d. Warthe nicht sehr glücklich; endlich Emilie, meine Mutter, die bis zum 33. Lebensjahr daheim blieb.

Der Vater fing an zu husten und starb an Schwindsucht. Meine Mutter war im Backfischalter ebenfalls lungenkrank. Onkel Wendorf sagte bei einem Besuch zu den Schwestern „Eure Schwester werdet Ihr wohl nicht mehr lange behalten.“ Am Ofen stand Emilie und hörte das. Aber sie machte sich nichts draus. Tatsächlich wurde sie 87 Jahre alt.

Der Schreiber Carl August Ferdinand Horneffer (1828-1906) in Gartz wusste, was er tat, wenn er die Emilie Ernestine Jahnke(1837-1924) beim Schützenfest zum Tanz holte. Dieser Schreiber am Gericht war der Sohn des Schneiders Carl Gottfried Horneffer (1797-1856), der ebenfalls nicht alt geworden ist, so dass ich meine beiden Großväter nicht mehr gesehen habe.

Grossvater Horneffer hatte die Befreiungskriege mitgemacht. Nach dem Feldzug kam er so abgerissen und arm zurück, dass er sich nicht durchs Tor nach Gartz hineintraute; man musste ihm erst einen heilen Rock hinausschicken. Einer seiner Brüder war Trompeter. Sein Vater Kaspar Horneffer, also mein Urgroßvater, der aus Clausthal im Harz stammt, wo es noch jetzt unter den Bergleuten Horneffers gibt, war Dragoner in dem berühmten Bayreuther Regiment des Alten Fritz. Nach Gartz war eine Abteilung dieses Regiments gelegt worden. Dort heiratete er und ergriff wohl auch ein Handwerk wie es andere alternde Soldaten neben ihrem Dienst ebenfalls machten. Wie er und warum er in den damals noch wenig geachteten Soldatenstand gekommen ist, ob aus Armut oder aus Abenteuerlust, darüber gibt kein Dokument Auskunft. Immerhin ist dieser Dragoner-Urgroßvater ein unruhiges Element in meiner sonst zahmen Ahnentafel.

Aus August Horneffers ungedruckter Autobiographie 1946 Band I: Vor der großen Flut. Erlebtes aus den Jahren 1890 bis 1914. vgl. AH Band I